Das Krankenversicherungsgesetz (KVG) verlangt, dass Vergünstigungen an die Kostenträger weitergegeben werden. Die Weitergabepflicht betrifft alle Arzneimittel der Spezialitätenliste und Medizinprodukte der Mittel- und Gegenständeliste (MiGeL). Der Weitergabe unterliegen aber auch Vorteile, die ein Leistungserbringer einem anderen, in seinem Auftrag tätigen Leistungserbringer gewährt.
Entschädigung gleichwertiger Gegenleistungen
Der Weitergabe unterliegen alle gebührenden Vorteile, also Vorteile, die nicht gegen die Integritätspflichten des Heilmittelgesetzes oder der VITH verstossen. Weder ein ungebührlicher Vorteil noch eine der Weitergabe unterliegende Vergünstigung liegt vor, wenn der Leistungserbringer für eine von ihm erbrachte Gegenleistung entschädigt wird und die Entschädigung gleichwertig ist.
Die Zulässigkeit der Abgeltung gleichwertiger Gegenleistungen ergibt sich aus dem Begriff des nicht gebührenden Vorteils. Eine Entschädigung für eine dem Aufwand entsprechende Gegenleistung ist kein Vorteil: Die Entschädigung deckt lediglich den Aufwand ab und verschafft dem Empfänger keine wirtschaftliche Besserstellung. Dieser Grundsatz gilt allgemein für die Zusammenarbeit mit Leistungserbringern und ist nicht auf die Bestellung oder Lieferung von Heilmitteln beschränkt.
Diese Überlegungen entsprachen der bisherigen Praxis von Swissmedic und wurden durch die am 1. Januar 2020 in Kraft getretenen Bestimmungen des revidierten HMG und der neuen VITH bestätigt. Neu muss die Leistung und deren Abgeltung aber in einer schriftlichen Vereinbarung festgehalten werden, aus der die Art und der Umfang von Leistung und Abgeltung hervorgeht. Die Vereinbarung unterliegt den Transparenzpflichten und ist auf Verlangen dem BAG offenzulegen.
Als Beispiel einer zulässigen Entschädigung nennt das BAG die Übernahme von Verpflegungskosten im Rahmen eines Fachgesprächs. Dieses Beispiel aus den Erläuterungen des BAG zur VITH beruht auf der Überlegung, dass der Wert der Verpflegungskosten dem zeitlichen Aufwand des Arztes für den fachlichen Austausch entsprechen.
Die gleichen Überlegungen gelten auch für die Weitergabe von Vergünstigungen. Auch die Vergünstigung setzt voraus, dass der Empfänger materiell bessergestellt wird. Eine dem Aufwand entsprechende Entschädigung ist keine Vergünstigung, da sie keine Besserstellung bewirkt. Entsprechend ist die Entschädigung für die vom Leistungserbringer erbrachte Gegenleistung nicht weiterzugeben – sofern die Entschädigung gleichwertig ist.
Unzulässige Doppelvergütungen
Mit dem Vorteilsverbot nicht zu vereinbaren ist eine mehrfache Entschädigung von ein und derselben Leistung. Diese Einschränkung ist insbesondere für die von der obligatorischen Krankenversicherung (OKP) vergüteten Pflichtleistungen von Bedeutung. Ist die Vergütung in einer behördlich erlassenen Liste oder in einem zwischen Leistungserbringern und Krankenkassen bzw. deren Verbänden ausgehandelten Tarifvertrag festgelegt, so darf dem Leistungserbringer für die gleiche Leistung keine zweite Entschädigung gewährt werden.
Beispiel: TARMED – Konsultationsentschädigung (Position-Nr. 00.0010 Konsultation erste 5 Min., danach 00.0020, beschränkt allerdings auf maximal 20 Minuten). Gemäss der medizinischen Interpretation umfasst die Grundkonsultation alle ärztlichen Leistungen, die der Arzt am Patienten erbringt, einschliesslich aller nicht besonders tarifierten Besprechungen, Untersuchungen und Verrichtungen (u.a. Injektionen, Verbände), sowie die Begleitung und Übergabe (inkl. Anordnungen) an Hilfspersonal sowie das auf die Konsultation bezogene Aktenstudium. Eine Entschädigung für diese bereits durch den TARMED vergüteten Leistungen ist somit unzulässig. Dies gilt auch für den Fall, dass die Leistungen des Arztes länger als 20 bzw. 25 Minuten dauern sollten und vom TARMED deshalb nicht mehr vergütet wird.
Ob der Leistungserbringer die Leistung tatsächlich zulasten der OKP abrechnet oder bewusst auf eine Abrechnung verzichtet, ist irrelevant. Die Möglichkeit, die Leistung nach einem Tarif abzurechnen, genügt.
Ausnahme vom Tarifschutz
Die Pflichtleistungen der OKP unterliegen dem Tarifschutz. Der Tarifschutz besagt, dass der Arzt für seine Leistungen keine höhere oder zusätzliche Vergütung verlangen darf, als dass sie im Tarifvertrag festgelegt ist. Der Tarifschutz gilt nicht nur für die zwischen Leistungserbringern und Krankenkassen bzw. deren Verbänden ausgehandelten Tarifverträge, sondern auch für die behördlich festgelegten Höchstpreise, wie beispielsweise für die Arzneimittel der Spezialitätenliste oder die Labortarife der Analysenliste.
Beispiel: Die Abgabe eines Arzneimittels darf der Arzt höchstens zum Publikumspreis abrechnen. Die zusätzlichen Aufwendungen für die Erklärung der Einnahmevorschriften kann der Arzt über den TARMED abrechnen.
Mittel und Gegenstände sind vom Tarifschutz ausgenommen. Auf der Mittel und Gegenständeliste (MiGeL) aufgeführt sind nicht nur Produkte, sondern auch damit in Zusammenhang stehende Dienstleistungen, wie die Erstinstruktion oder Wartung. Auch diese Leistungen unterliegen nicht dem Tarifschutz. Mit der Ausnahme vom Tarifschutz wollte der Gesetzgeber sicherstellen, dass die Vergütung auf die zweckmässige und für die Behandlung unerlässliche Ausführung eines Medizinproduktes beschränkt ist. Teurere oder gar luxuriöse Ausführungen sollen zulasten des Patienten gehen, der dafür eine Zusatzversicherung abschliessen kann.
Infolge der für Mittel und Gegenstände geltende Ausnahme vom Tarifschutz ist es Ärztinnen und Ärzten unbenommen, im Geltungsbereich der MiGeL eine zusätzliche Entschädigung zu verlangen – allerdings nur insoweit als diese Leistungen nicht über den TARMED abgerechnet werden können.
Beispiel: Für die Schulung bzw. Erstinstruktion im Umgang mit Atemtherapiegeräten zur Sekretmobilisation sieht die MiGeL eine Entschädigung von CHF 200 vor (Position-Nr. 14.04.11.03.3). Die gleiche Leistung kann der Arzt aber auch über den TARMED abrechnen (u.a. Grundkonsultation). Diese Leistungen kann der Arzt deshalb nicht gleichzeitig über den TARMED und über die MiGeL abrechnen. Nicht über den TARMED abrechnen kann der Arzt die Abgabe von Mittel und Gegenständen. Da diese nicht dem Tarifschutz unterliegen, kann der Arzt für die Abgabe oder das Vermieten von Atemtherapiegeräten auch einen höheren Preis verlangen. Die Kostendifferenz darf er aber nicht zu Lasten der OKP abrechnen.
Mehr- und Zusatzleistungen
Keine Doppelvergütung liegt vor, wenn die Entschädigung für eine Leistung gewährt wird, die ausserhalb des Leistungskataloges der OKP liegt. Mehr- oder Zusatzleistungen gehören nicht zu den Pflichtleistungen, weshalb sie von der OKP nicht bezahlt werden dürfen.
Beispiel: Komfortleistungen wie der Aufenthalt in einem Einzelzimmer oder die ärztliche Behandlung durch den Chefarzt im stationären Bereich.
Die Kosten für Mehr- und Zusatzleistungen gehen zu Lasten des Patienten. Wiederum kann der Patient dafür eine Zusatzversicherung abschliessen.
Das Erbringen von Mehr- und Zusatzleistungen kann aber auch im Interesse von Dritten sein, wenn sie die Behandlungsqualität, die Compliance des Patienten oder die Anwendungssicherheit verbessern. Diese können den Arzt für derartige Leistungen vergüten, vorausgesetzt, dass die Leistungen nicht dem TARMED unterliegen oder dem Arzt anderweitig vergütet werden.
Beispiel: Präklinischen Tätigkeiten, die der Arzt für ein externes Auftragslabor erbringt, können den administrativen Mehraufwand des Labors reduzieren und dazu beitragen, dass Behandlungsfehler vermieden werden. Aus diesem Grund erachteten die Gesundheitsbehörden des Kantons Waadt es als zulässig, wenn Auftragslabore den Arzt für bestimmte präklinische Tätigkeiten mit bis zu CHF 10 entschädigen.
Ein höherer Zeitaufwand für Pflichtleistungen rechtfertigt keine zusätzliche Entschädigung. Verpflichtet sich der Arzt dazu, sich für das Erklären einer Krankheit mehr Zeit zu nehmen, über das übliche Mass Literatur zu studieren oder die Wartezeiten in der Praxis zu verkürzen, so darf er dem Patienten dafür keine zusätzliche Kosten in Rechnung stellen. Das Bundesgericht begründet dies mit der Überlegung, es sei nicht einsichtig, warum «Patientengespräche bzw. Krankheitsabklärungen bei Privatpatienten generell länger dauern sollen als bei allgemein versicherten Patienten».
Beispiel: Um den Patienten in die Anwendung eines Medizinproduktes einzuweisen, darf der Arzt keine zusätzliche Vergütung verlangen, selbst wenn er sich verpflichtet, über die Grundkonsultation hinausgehend Zeit für den Patienten aufzuwenden.
Die Unzulässigkeit einer zusätzlichen Vergütung für den höheren Zeitaufwand schliesst nicht jede Entschädigung im ambulanten Bereich aus. Vorbehältlich eigentlicher Notfälle sind Sprechstunden ausserhalb der ortsüblichen Praxiszeiten keine Pflichtleistungen. Abendliche Konsultationen dürfen deshalb zusätzlich entschädigt werden.
Alte Tarifverträge - neue Technologien
Da die neuen Anwendungen der digitalen Technologie in den bestehenden Tarifverträgen nicht oder nur unzureichend abgebildet sind, eröffnet der technologische Fortschritt Raum für neue Zusammenarbeits- und Vergütungsmodelle. Zu denken ist an die Kontaktaufnahme über einen Messenger Dienst, die Triage über einen Chat Bot, die Untersuchung mittels der Kamera eines Smartphones oder die elektronische Abrufbarkeit medizinischer Befunde von Auftragslaboratorien. Die technologische Entwicklung erlaubt einen zeitlich und örtlich uneingeschränkten Zugang zu medizinischen Dienstleistungen. Insoweit diese Leistungen eine über die Pflichtleistungen der OKP hinausgehende Mehr- oder Zusatzleistung darstellen, berechtigen sie zu einer zusätzlichen Vergütung des entsprechenden Aufwandes.
Was gilt für andere Leistungserbringer?
Dieselben Überlegungen gelten auch für andere Leistungserbringer wie Spitäler, Labore, Spitexorganisationen oder Apothekerinnen und Apotheker. Auch für diese gilt das Verbot von Doppelvergütungen. Mehr- und Zusatzleistungen dürfen demgegenüber vergütet werden.