VITH Abgabe von Medikamenten

Pharma und Healthcare

Hausarztpraxiskette in Verruf – eine rechtliche Einordnung von Vergütungen an Arztpraxen

Ein Ziel der Revision des Heilmittelgesetzes (HMG) war, klare Regeln festzulegen, unter welchen Voraussetzungen Vergütungen an Arztpraxen zulässig sind. Ein aktueller Fall bietet Anschauungsunterricht und zeigt, dass bei Zahlungen an Arztpraxen nach wie vor viele Unklarheiten bestehen.

12.05.2023 Matthias Stauffacher  •   Andrea Waditschatka

In einem Bericht von SRF Investigativ wird der Fall einer Hausarztpraxiskette aufgerollt. Dem Betreiber, Thomas Haehner, wird unter anderem vorgeworfen, in den 18 von ihm betriebenen Praxen würden übermässig Arzneimittel und Laborleistungen verschrieben. Im SRF Bericht werden Unterlagen vorgelegt, gemäss welchen finanzielle Vergütungen von Pharmaherstellern und Laboren an «Firmen» von Herrn Haehner bezahlt worden seien. Namentlich werden folgende Zahlungen genannt:

  • Eine Rechnung an ein Labor im Umfang von rund CHF 27’000
  • Verkauf eines 20jährigen Röntgengerätes für CHF 58'000 an ein Labor
  • Vergütung einer Generikafirma im Umfang von CHF 67'000

Interessant ist der Bericht vor allem im Zusammenhang mit der Vergütung der Generikafirma und bezüglich der Frage, zu welchem Zweck die Zahlung erfolgt ist. Gemäss der Stellungnahme der Generikafirma erfolgte diese als Gegenleistung für die Bereitstellung von Werbeflächen in den Wartezimmern des Ärztenetzwerks.

Das SRF legt die Unterlagen unter anderen einem Vertreter von Helsana vor, um dessen Einschätzung zu erhalten. Dieser kommentiert die Vergütung ganz anders: ein Arzt müsse sich wirtschaftlich verhalten und aus diesem Grund und wenn immer möglich Generika bevorzugen. Die Entschädigung für die Abgabe von Generika sei daher unzulässig.

Für die rechtliche Beurteilung ist zentral, zu welchem Zweck eine Vergütung bezahlt wird. Denn das HMG verbietet nicht jede Vergütung an einen Arzt oder eine Ärztin, sondern sieht gewichtige Ausnahmen vor.

Wie ist die Zahlung rechtlich zu beurteilen?

Vorab ist zu bemerken, dass die Bestimmungen der VITH nur dann anwendbar sind, wenn die Vergütung im Zusammenhang mit dem Einkauf oder der Abgabe von verschreibungspflichtigen Arzneimitteln steht. Der Gesetzgeber hat zwar bereits eine Ausweitung auf Heilmittel (und damit auch Medizinprodukte) vorgesehen, aber es ist noch nicht absehbar, wann diese Änderung in Kraft tritt. Die Vergütungen durch Labore sind damit unter dem Aspekt der VITH nicht relevant, sondern wären nach den Bestimmungen des KVG sowie des MedBG zu prüfen (vgl. Vergütungen durch Labore).

Gemäss dem HMG dürfen Ärztinnen und Ärzte weder für sich, noch zu Gunsten eines Dritten einen nicht gebührenden Vorteil annehmen, noch sich einen solchen versprechen lassen. Weiter setzt die Anwendbarkeit des HMG implizit voraus, dass die Vergütung im Zusammenhang mit dem Kauf oder Verkauf von verschreibungspflichtigen Arzneimitteln erfolgt. Dies bedeutet, dass für die Anwendbarkeit der Regeln des HMG sowie der VITH vorausgesetzt wird, dass die Generikafirma die Arztpraxen auch mit verschreibungspflichtigen Arzneimitteln beliefert.

Beliefert die Generikafirma die Arztpraxen mit Arzneimitteln, ist in einem zweiten Schritt zu klären, ob allenfalls eine der gesetzlichen Ausnahmen vorliegt, wonach die Vergütung zulässig ist.

Eine Vergütung ist insbesondere dann erlaubt, wenn eine gleichwertige Gegenleistung vorliegt. Weiter muss eine schriftliche Vereinbarung vorliegen und die Vergütung in einem angemessenen Verhältnis zur Gegenleistung stehen. Zudem darf die Leistung nicht anderweitig entschädigt werden (namentlich wenn die Leistung über den Tarmed vergütet wird). Verkürzt heisst dies: wenn eine Ärztin oder ein Arzt eine echte Mehrleistung erbringt, darf diese auch angemessen vergütet werden.

Nun kommen wir zurück zum Bericht des SRF: Um die Zulässigkeit zu beurteilen, müssen wir wissen, ob eine Gegenleistung der Arztpraxen vorliegt. In genau diesem Punkt ist der Bericht des SRF aber nicht eindeutig:

  • Gemäss dem Vertreter von Helsana erfolgte die Vergütung für die Abgabe von Generika: Bei dem Begriff der «Abgabe» handelt es sich um einen technischen Begriff, damit ist der Verkauf und die Übergabe eines Arzneimittels an die Patientinnen und Patienten gemeint. Beim Verkauf eines Arzneimittels kann der Arzt eine Marge erzielen, eine zusätzliche Vergütung dieser Leistungen durch eine Generikafirma wäre vermutlich unzulässig. Im Übrigen wäre auch eine Vergütung für die Verschreibung eines Arzneimittels unzulässig, da die Ausstellung des Rezepts bereits über den Tarmed vergütet wird.
  • Folgt man den Ausführungen der Generikafirma, so wurde die Vergütung für die Bereitstellung von Werbeflächen bezahlt. Bei Werbeleistungen handelt es sich wohl unbestritten um Leistungen, welche nicht über einen Tarif vergütet werden. Eine Vergütung dieser Leistung wäre somit zulässig, sofern sie in einem «angemessenen» Verhältnis zur Gegenleistung steht.

Was heisst angemessen?

Das ist die schwierigste Frage: Denn was kostet Werbung? Und was kostet es, wenn diese Werbung in einer Arztpraxis erfolgt? Wie ist dieser Betrag festzulegen?

Der bezahlte Betrag von CHF 67'000 scheint sehr hoch – entsprechend überrascht reagiert auch die Reporterin des SRF. Wir wissen jedoch nicht, ob nur eine oder alle Praxen solche Werbeleistungen erbracht haben und auch nicht, in welchem Zeitraum die Werbeleistungen erbracht wurden. Wir haben ebenfalls keine Kenntnisse davon, wie viele Patientinnen und Patienten in den Praxen behandelt wurden. Erst mit Kenntnis dieser und weiterer Informationen liesse sich eine verlässlichere Aussage dazu machen, ob die Vergütung in der Höhe als angemessen gelten kann. Schliesslich ist es gerade bei Werbemassnahmen äusserst schwierig, festzulegen, wie eine objektiv angemessene Vergütung festgelegt werden soll.

Fazit

Es ist nicht die Ausnahme, sondern eher die Regel, dass Pharmafirmen Werbung in Arztpraxen und auch in Apotheken machen. Das HMG verbietet Ärztinnen und Ärzten wie auch Apothekerinnen und Apothekern die Annahme von nicht gebührenden Vorteilen im Zusammenhang mit dem Kauf und Verkauf von Arzneimitteln. Ausdrücklich erlaubt ist die Abgeltung von gleichwertigen Gegenleistungen. Ob die Hausarztpraxiskette nun Vergütungen im Sinne eines wertmässigen quid pro quo erhalten hat oder ob es sich dabei um nicht gebührende Vorteile handelt, können wir nicht abschliessend beurteilen. Der Fall dieser Arztpraxen zeigt deutlich, dass nach wie vor viele Unklarheiten im Zusammenhang mit den Bestimmungen der VITH bestehen und diese sehr unterschiedlich interpretiert werden. Am Rande sei bemerkt, dass das BAG die zuständige Behörde bei Fragen zur VITH ist. Es wäre interessant gewesen, hätte das SRF auch die Meinung des BAG eingeholt.

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