Ist ein Bundesgerichtsurteil in Rechtskraft erwachsen, so kann es mit keinem Rechtsmittel mehr angefochten werden. Mit dem Urteil ist die Streitsache grundsätzlich abgeschlossen. Jedoch kann das Bundesgericht das Verfahren wieder aufnehmen, wenn einer der in den Art. 121-123 BGG aufgeführten Revisionsgründe vorliegen.
Überblick über den Sachverhalt
B. ersuchte das Kantonsgericht AR um Einberufung einer ausserordentlichen Generalversammlung der A. AG. Der Einzelrichter des Kantonsgerichts hiess das Gesuch von B. mit Urteil vom 15. Oktober 2019 gut. Gegen das Urteil erhob die A. AG Berufung an das Obergericht AR. Das Obergericht bestätigt mit Urteil vom 12. Februar 2020 den Entscheid vom Kantonsgericht.
Das Obergericht erwog, dass bei Inhaberaktien nach Art. 689a Abs. 2 OR sich diejenige Person als deren Besitzer ausweisen müsse, welche die mit den Inhaberaktien verbundenen Mitgliedschaftsrechte ausüben will. Dies ist mit Vorlegen der Aktien möglich. Würden die Inhaberaktien nur buchmässig geführt werden, so tritt an die Stelle der Aktienurkunde die Bescheinigung der Depotstelle, bei welcher die Inhaberaktien eingebucht sind. Dies ist hier der Fall, da B. ein Bank-Depotauszug sowie ein Bankschreiben mit Bestandesbestätigung einreichte. Aufgrund dessen sei grundsätzlich von der Inhaberschaft an den Aktien auszugehen.
Das Kantonsgericht entschied, die ausserordentliche Generalversammlung sei einzuberufen und die Berufung abzuweisen. Auch das Bundesgericht wies die von der A. AG dagegen erhobene Beschwerde ab.
Mit der Eingabe vom 24. August 2020 ersucht die A. AG das Bundesgericht um Revision des Urteils vom 15. Juni 2020, insbesondere sei die auf den 26. August angesetzte Generalversammlung abzusagen. Gestützt auf Art. 123 Abs. 2 lit. a BGG macht die Revisionsgesuchstellerin geltend, sie habe nachträglich erhebliche Tatsachen und Beweismittel entdeckt, die sie im früheren Verfahren nicht hätte einbringen können. Sie habe nach der Fällung des bundesgerichtlichen Entscheids im Rahmen der Akteneinsicht des Strafverfahrens gegen den Revisionsgesuchsgegner erfahren, dass sich die strittigen Inhaberaktien bereits im Zeitpunkt des erstinstanzlichen Entscheides nicht mehr auf dem Depot des Revisionsgesuchsgegners befunden haben. Der Revisionsgesuchsgegner habe noch während des erstinstanzlichen Verfahrens die Inhaberaktien an seinen Sohn übertragen. B. sei daher nicht mehr Aktionär und damit nicht befugt gewesen, die Einberufung einer Generalversammlung zu verlangen.
Zuständigkeit für Revisionsgesuche
Bei einem eingereichten Revisionsgesuch gegen ein früheres Urteil prüft das Bundesgericht zuerst, ob das Gesuch ordnungsgemäss beim Bundesgericht eingereicht wurde, oder ob doch die Vorinstanz dies zu evaluieren hätte. Gemäss Art. 105 Abs 1 BGG legt das Bundesgericht seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat. Ebenfalls müssen die Begründungsanforderungen in Art. 42 Abs. 1 und Abs. 2 BGG erfüllt sein.
Das Bundesgericht verwies vorweg auf die in der Lehre zu dieser Frage vertretenen Auffassungen und erwog danach, dass entscheidend sei, ob sich das Bundesgericht im Ausgangsverfahren materiell mit der Sache befasst hätte, demzufolge ob es auf die Beschwerde in Zivilsachen eingetreten sei oder nicht.
« Die Frage, ob ein Revisionsgesuch propter nova beim Bundesgericht oder bei der Vorinstanz einzureichen ist, entscheidet sich danach, ob sich das Bundesgericht im Ausgangsverfahren materiell mit der Sache befasst hat, mithin ob es auf die Beschwerde in Zivilsachen eingetreten ist oder nicht. »
Wenn das Bundesgericht auf die Beschwerde eingetreten ist, führt die Gutheissung oder die Abweisung auf der Grundlage der im angefochtenen Entscheid festgestellten Tatsachen dazu, dass der Entscheid an die Stelle des angefochtenen kantonalen Entscheids tritt. Generell sind in solchen Fällen das Revisionsbegehren beim Bundesgericht zu stellen. Eine Ausnahme ist, wenn einzig Aspekte aufgegriffen würden, die vor Bundesgericht nicht mehr Streitgegenstand sind. So hat der Gesuchsteller nach Erlass des Bundesgerichtsurteils das Revisionsgesuch an die kantonale Instanz zu stellen.
Ist das Bundesgericht hingegen nicht auf die Beschwerde in Zivilsachen eingetreten, ersetzt sein Urteil den angefochtenen Entscheid nicht. Diesfalls ist das Revisionsgesuch nicht an das Bundesgericht, sondern an die zuständige kantonale Vorinstanz zu richten.
Prüfung der Revision durch das Bundesgericht
Ist die Zuständigkeit gegeben, prüft das Bundesgericht hinsichtlich seiner Kognition, ob der geltend gemachte Revisionsgrund gegeben ist. Dafür hat es unter anderem zu beurteilen, ob die neu entdeckte Tatsache bzw. das neu entdeckte Beweismittel erheblich ist.
In diesem Rahmen befasst sich das Bundesgericht mit den neu entdeckten Tatsachen und Beweismitteln, auch wenn es den Sachverhalt im vorangegangenen Beschwerdeverfahren nur mit beschränkter Kognition überprüfen konnte. Hinge der Anwendungsbereich von Art. 123 Abs. 2 lit. a BGG von der Kognition im vorangehenden Beschwerdeverfahren ab, würde der Gesuchsteller oft ohne Revisionsrechtsmittel dastehen.
Bejaht das Bundesgericht die Voraussetzungen des Revisionsgrunds nach Art. 123 Abs. 2 lit. a BGG, hebt es das Urteil auf, das Gegenstand des Revisionsgesuchs ist, und urteilt in der Folge über die ursprüngliche Beschwerde. Zugleich weist das Bundesgericht die Sache in aller Regel an die kantonale Instanz zur Neubeurteilung zurück, weil das Bundesgericht grundsätzlich nicht selbst eine neue Würdigung der tatsächlichen Situation vornimmt. Das Bundesgericht kann im wieder aufgerollten Beschwerdeverfahren aber auch auf eine Rückweisung an die Vorinstanz verzichten und selbst über die Sache entscheiden, wenn der massgebende Sachverhalt ohne weiteres feststeht.
Wird das Revisionsgesuch vom Bundesgericht als zulässig ermessen, tritt es darauf ein und prüft, ob der geltend gemachte Revisionsgrund (siehe unten) gegeben ist. Ebenfalls fällt es zwei Entscheide in einem einzigen Urteil. Im ersten Entscheid hebt das Bundesgericht das Urteil auf, welches Gegenstand des Gesuchs ist. Damit ist das Revisionsverfahren beendet und die Wiederaufnahme des vorherigen Beschwerdeverfahrens wird eingeleitet. Im zweiten Entscheid urteilt das Bundesgericht über die Beschwerde. Nun gilt der Zustand für die Verfahrensbeteiligten wie auch das Bundesgericht als hätte das Urteil nicht existiert. Das Beschwerdeverfahren wird aber nur soweit wieder aufgerollt, wie der Revisionsgrund reicht.
Das Bundesgericht prüft anlässlich der Revision die nachträglich entdeckten Tatsachen und Beweismittel. Dabei müssen fünf Voraussetzungen erfüllt sein.
Was ist bei einem Revisionsgesuch zu beachten?
Gemäss dem Leitentscheid des Bundesgerichtes sind in der Beurteilung eines Revisionsgesuchs nach Art. 123 Abs. 2 lit. a BGG fünf Voraussetzungen zu prüfen:
- Der Gesuchsteller beruft sich auf eine neue Tatsache beziehungsweise auf ein neues Beweismittel, welches dem Beweis einer vorbestandenen Tatsache, folglich eines unechten Novums, dient.
- Diese Tatsache ist erheblich, d.h. sie ist geeignet, die tatsächliche Grundlage des angefochtenen Urteils zu verändern und bei zutreffender rechtlicher Würdigung zu einer anderen Entscheidung zu führen. Das neue Beweismittel muss ebenfalls erheblich sein, bzw. geeignet, um eine Änderung des Urteils zugunsten des Gesuchstellers zu erreichen.
- Die Tatsache und das Beweismittel existierten bereits, als das bundesgerichtliche Urteil gefällt wurde (unechtes Novum). Die Tatsache muss sich bis zum Zeitpunkt verwirklicht haben, als im Hauptverfahren noch tatsächliche Vorbringen, bzw. die Einreichung des Beweismittels prozessual zulässig war. Gemäss Art. 123 Abs. 2 lit. a BGG sind Tatsachen, die später entstanden sind, demnach echte Noven, ausdrücklich ausgeschlossen.
- Die Tatsache, wie auch das Beweismittel müssen nachträglich, d.h. erst nach diesem Zeitpunkt, entdeckt worden sein.
- Der Gesuchsteller konnte die Tatsache, respektive das Beweismittel im Hauptverfahren trotz genügender Sorgfalt nicht vorbringen, bzw. einreichen.
Das Revisionsgesuch wurde im Ergebnis gutgeheissen und das Urteil des Bundesgerichts 4A_134/2020 vom 15. Juni 2020 aufgehoben.
Das frühere Beschwerdeverfahren wurde damit wieder aufgenommen. Es steht fest, dass B. im massgeblichen Zeitpunkt nicht mehr Aktionär der A. AG war, da er während des erstinstanzlichen Verfahrens die Aktien an seinen Sohn übertragen hatte. Somit fehlte B. die Aktionärsstellung und die Aktivlegitimation. Dementsprechend wurde sein Gesuch um Einberufung einer Generalversammlung abgewiesen.